29.11.15

Edward mit den Scherenhänden (USA 1990) – Ein ungewöhnlicher Weihnachtsklassiker

Siehst du, bevor er zu uns kam, hat es niemals geschneit. Aber danach tat es das. Ich glaube, wenn er jetzt nicht da oben wäre, würde es sicher nicht schneien ...
Manchmal siehst du mich noch im Schnee tanzen …

© Twentieth Century Fox
Jetzt auf Blu Ray und DVD
Biancas Blick:

Das ist wohl eine der ikonischsten Szenen in Tim Burtons EDWARD MIT DEN SCHERENHÄNDEN, der im amerikanischen Kino floppte, wo er am 6. Dezember 1990 anläuft, sich aber in den vergangenen 25 Jahren zu einem Klassiker und Geheimtipp mausert, den man an Weihnachten nicht mehr missen möchte.
Bei einem Budget von 20 Millionen Dollar spielt er bis 2012 das Vierfache wieder ein. Ein Spätzünder also!

Edward – ein unfertiger Gutmensch


Mit der Figur des Edward (Johnny Depp in einer seiner schönsten Rollen) erschafft Tim Burton einen grundguten Charakter, wie es ihn nur selten im Kino gibt.
Edward ist ein künstlicher Mensch, sein Schöpfer (wunderbar verkörpert von Vincent Price, für den diese Rolle extra geschrieben wurde!) verstirbt aber vor der Fertigstellung seines Wesens und so bleibt Edward allein und mit Scheren statt Händen auf dem Schloss zurück.

Erst die unerschrockene Avon-Beraterin Peg (erfrischend gut: Dianne Wiest) nimmt sich seiner an und schleppt ihn zu sich nach Hause in die „reale“ Welt – eine kalifornische Vorstadt, in der Edward mit Fremdenhass und der ersten großen Liebe konfrontiert wird. (Die Figur der Peg wird der Mutter von Drehbuchautorin und Produzentin Caroline Thompson nachempfunden, die oft Fremde und Arme mit Heim bringt, um sie zu verköstigen und aufzupeppeln).
Edward verliebt sich Hals über Kopf in Kim, die Tochter des Hauses (plötzlich erblondet: Winona Ryder, die auf Anraten von Johnny Depp ihre Rolle in DER PATE III quittierte, um die Figur der Kim zu spielen), doch von Beginn an ist klar, dass diese Liebe keine Chance haben wird.

© Twentieth Century Fox
Als Edward für einen Einbruch missbraucht wird, schlägt die zunächst freundliche Stimmung um und der unschuldig naive Kunstmensch muss zusehends um sein Leben fürchten.
Als Edward sich wieder in sein Schloss zurückzieht, um seinem Tod zu entgehen, verändert er das Weihnachtsfest der Gemeinde nachhaltig.
Denn seitdem schneit es Jahr für Jahr zu Weihnachten – das Ergebnis von Edwards Liebe zu Kim, seinem Engel, den er niemals wiedersehen wird.

Das stets moderne Thema vom „gefährlichen Fremden“


Edwards Charakter ist durch und durch friedfertig, gutmütig und naiv, ein Wesenszug, der ihm bald zum Verhängnis wird, denn als sich „das Fremde“ etwas zu schulden kommen lässt, zeigt sich das böse Gesicht der nach Außen hin nur allzu guten Gesellschaft, die den gutmütigen und unschuldigen Edward zu jagen beginnt.
Dieses Grundthema ist nicht neu in der Weltgeschichte und wirkt bereits hervorragend in Klassikern wie DER GLÖCKNER VON NOTRE DAME, DAS PHANTOM DER OPER, FRANKENSTEIN, DIE SCHÖNE UND DAS BIEST oder KING KONG, von deren Storylines sich Burton und Thompson beinflussen lassen.
Eine immer wieder als Topos bemühte Parabel, die auch in EDWARD MIT DEN SCHERENHÄNDEN wunderbar wirkt.
Edward ist anders, skurril, mysteriös und interessant und verzaubert damit eine gänzlich biedere und gleichgeschaltete Vorstadtidylle. Erst, als er seinen eigenen Willen und ein Gewissen zeigt, die mit den Werten der Vorstadt unvereinbar sind, wird er zur Persona non grata und zum Feinbild und seine ehemaligen Freunde werden blind gegenüber dem tatsächlich „Bösen“ , das in ihrer Mitte lebt.

Aller Anfang ist schwer


Tim Burton entwickelt die Geschichte um Edward, den künstlichen Menschen mit dem echten Herzen, bereits während seiner Jugend im kalifornischen Vorort Burbank. Er malte ein Bild, das ihn zu dieser Geschichte inspirierte.

© Twentieth Century Fox
Bereits als er an BEETLEJUICE arbeitet, engagiert er Caroline Thompson mit der Bitte, seine Geschichte in ein Drehbuch umzuwandeln und die Produktion voranzutreiben.
Burton ist damals noch ein unbekannter Regisseur, dem mit BEETLEJUICE aber ein erstes kleines Highlight gelingt.
Der junge Filmemacher ist schrill und quietschbunt und schafft es wie kein Zweiter, ungewöhnliche und abgedrehte Figuren zu erschaffen. Etwas damals komplett Neues, das verwundert und gleichermaßen fasziniert.

Mit BATMAN gelingt ihm, durchaus unerwartet, einer der größten Blockbuster der Hollywoodgeschichte, der ihn augenblicklich in die erste Riege der Hollywoodregisseure katapultiert. Das ermöglicht ihm endlich die Umsetzung seines Edward-Themas.
Noch vor dem Erfolg von BATMAN springen ausgerechnet die Warner Bros. ab, wahrscheinlich trauen sie Burton und dem Projekt keinen Erfolg zu. Als der Erfolg von BATMAN unübersehbar wird, schlägt 20th Century Fox zu und das Projekt nimmt endlich Formen an.
Zwar kann man sich heutzutage keinen besseren Schauspieler als Johnny Depp als Edward vorstellen, aber tatsächlich ist der damalige Jungstar weder zweite noch dritte Wahl.
Erst müssen Tom Cruise (der auf einem Happy End besteht), Tom Hanks (der lieber FEGEFEUER DER EITELKEITEN dreht), Robert Downey, Jr., William Hurt und Jim Carrey absagen, bevor der Weg für Depp frei wird. (Und Gerüchten zufolge wird sogar Michael Jackson eine Weile für die Rolle in Betracht gezogen).
Burton hasst Depps Figur in 21 JUMP STREET, spürt aber während des Castings, dass Depp aus den Fängen seines „Teenie-Idol-Image“ ausbrechen will. Als Depp das Drehbuch liest, ist es für ihn wie „eine Art Wiedergeburt“. Er orientierte sich in seiner Vorbereitung an Charlie Chaplin und seiner Darstellung früher Stummfilme, um seine wortkarge Figur zu zeichnen, ohne auf Dialog zurückzugreifen.

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Und wir als Filmfans atmen noch heute erleichtert auf, als Burton schließlich zusagt! Denn etwas Besseres als Depp hätte dem Film nicht widerfahren können. Die ungelenke Körperlichkeit, die Depp Edward angedeihen lässt wirkt berührend und liebenswert. Sie wirkt clownesk und beschreibt den Charakter Edwards vielleicht besser, als es Worte jemals vermocht hätten.
Depp wird für seine Darstellung des Edward vollkommen zu Recht mit dem Golden Globe 1991 bedacht.

Der Monster-Macher


Für das Make-Up und die Scherenhände ist kein Geringerer als Stan Winston verantwortlich.
Winston, der sich zuvor als Monster-Macher in DAS DING AUS EINER ANDEREN WELT, THE PREDATOR, THE TERMINATOR und ALIENS einen Namen gemacht hat, kreiert nun ein Anti-Monster.
Ein Coup! Und ein sehr gelungener, denn Edwards Scherenhände wirken tatsächlich gruselig und bedrohlich, besonders, wenn Edward böse und verzweifelt agiert.

Und was soll man sagen? Auch für EDWARD MIT DEN SCHERENHÄNDEN wird Stan Winston für einen Oscar nominiert!
Johnny Depp verbringt täglich gut zwei Stunden in der Maske, für damalige Verhältnisse ein ungewöhnlich langes und aufwendiges Unterfangen. Wie ungewöhnlich und grandios Edwards Look ist, sieht man auch daran, dass es heute etliche Youtube-Videos gibt, in denen man Tipps und Tutorials findet, um sich Edwards ikonischen Look anzueignen. Neben dem Make up gehört dazu auch Edwards Kostüm, das sich für Depp als ziemlich unangenehm erweist: Als Depp in einer Szene vor der Menschenmeute fliehen muss, erleidet er einen Zusammenbruch. (Er ist dehydriert, denn der Dreh findet im Juni statt, es ist heiß und die Lederkluft lässt keinerlei Luftzirkulation zu.)

Und dann kommt Elfman


Heute sagt Tim Burton über EDWARD MIT DEN SCHERENHÄNDEN, dass er zwar nicht sein Lieblingsfilm sei, aber mit Abstand sein Film mit dem schönsten Score.
Und den kreiert kein Geringerer als Danny Elfman.

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Auch Elfman, der den Soundtrack mit einem 79-Mann starken Orchester einspielt, bezeichnet den Edward-Score als seinen persönlichen Liebling. 1992 erhält er für diesen Soundtrack eine Grammy-Nominierung – der höchste Preis, den man als Musiker im amerikanischen Business erhalten kann.

Neben Johnny Depp hat Tim Burton mit Danny Elfman eine weitere immer wiederkehrende Größe an seiner Seite, zu dritt drehen sie etliche Filme. Winona Ryder, die Burton in BEETLEJUICE entdeckt hat, wird alsbald von Helena Bonham Carter abgelöst, die die folgenden Burton-Heroinen verkörpern wird – und die er schließlich auch heiratet.
Elfmans Soundtrack gehört bis heute zu den schönsten der Filmwelt und trägt – wie auch Svobodas Soundtrack für DREI HASELNÜSSE FÜR ASCHENBRÖDEL – zum großen langlebigen Erfolg des Films bei.

Der verhinderte Mega-Erfolg


Nach ersten Test-Screenings plant Joe Roth, Präsident der Twentieth Century Fox und offensichtlich noch auf der Suche nach einem Megahit wie BATMAN, zunächst eine großangelegte Werbekampagne im Stile von „Ein Blockbuster der Größe von E.T.“, doch schließlich entscheidet er sich stattdessen für einen äußerst zurückhaltenden Kinostart und eine gänzlich unscheinbare Werbestrategie. Trotz der fehlenden Unterstützung großer Werbeslogans schafft es EDWARD MIT DEN SCHERENHÄNDEN, sich über die Jahre hinweg als profitabler Erfolg zu erweisen.

Johnny Depp und Winona Ryder, die in jenen Jahren tatsächlich ein Paar sind, avancieren nicht zuletzt dank EDWARD MIT DEN SCHERENHÄNDEN zu Teenie-Idolen der frühen 90er und helfen dem Film dabei, einer der schönsten und nachhaltigsten Weihnachtsfilme der Neuzeit zu werden.
Rückblickend mag man sich kaum fragen, was für ein weltweiter Erfolg EDWARD MIT DEN SCHERENHÄNDEN hätte werden können, hätte man ihm eine große Werbekampagne spendiert.
Aber möglicherweise ist der Film als Indie-Perle ja doch besser aufgehoben.

© Twentieth Century Fox
Aus dem Film entsteht 2005 eine Ballet-Adaption, die nach 11 erfolgreichen Wochen in London in Asien und Amerika aufgeführt wird. 2010 entsteht außerdem eine Theateradaption, die allerdings recht kurzlebig ist und nur eine Woche in Brooklyn aufgeführt wird

Der Weihnachtszauber


Das wundersame an EDWARD MIT DEN SCHERENHÄNDEN ist, dass er ein so erfrischend unscheinbarer Weihnachtsfilm ist. Anders als viele andere Filme, die das Thema „Weihnachten“ so laut herausschreien, dass man beinahe taub wird, vermittelt EDRWARD MIT DEN SCHERENHÄNDEN seine weihnachtliche Message ganz subtil und unscheinbar.
Augenscheinlich handelt es sich bei dem Film vor allem um ein Märchen, nach dazu ein etwas schräges in typischer Burton-Manier. Er spielt im sonnigen Kalifornien und wirkt in seiner Aussage eher wie eine etwas Gothic-lastige Version von Frau Holle. Aber eben weil es hier um Feiertage geht (der Film spielt an Weihnachten), um Familie, um ein friedliches Miteinander und um die christlich-weihnachtlichen Werte der Nächstenliebe, der Aufnahme einsamer, hilfsbedürftiger Seelen und weil den ganzen Film dieser zarte Schleier von Magie und „Engel gibt es wirklich“ durchweht, passt er mindestens ebenso hervorragend in die Weihnachtszeit wie all die anderen Weihnachtsklassiker, die es auf dem Markt gibt.

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