04.11.15

James Bond jagt Dr. No (GB 1962) - Atomkraft, Rache und Snobismus

„Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“, wusste schon Hermann Hesse.
Als Albert Romolo Broccoli und Harry Saltzman sich 1962 daran machen, eine kleine, britische Romanreihe um einen Gentleman-Spion fürs Kino zu adaptieren, können sie nicht ahnen, dass sie Kinogeschichte schreiben werden.
JAMES BOND JAGT DR. NO wird der Startschuss der langlebigsten und erfolgreichsten Filmreihe aller Zeiten – ein Stück Zeit- und Kulturgeschichte, das sich in seiner Wirkungsgeschichte mit Shakespeare auf einer Stufe sehen darf. Und es beginnt ganz klein und ein wenig albern.
Quelle: DVD „James Bond jagt Dr. No“ © Twentieth Century Fox
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Marcos Blick: 

Für Kinokritiker ist James Bond immer ein etwas heikles Thema. Der britische "Geheim"agent, der stets fröhlich seinen bürgerlichen Namen spazieren führt, schwankt irgendwo zwischen Personenkult und cineastischem Heiligtum. Debatten darüber, was Bond ausmache, welcher Darsteller der beste Bond sei, welches der beste Bond-Song sei und welches seiner bald 24 Abenteuer das tollste oder schlechteste sei, sind unter Fans an der Tagesordnung. Jeder neue Bond bricht alte Zuschauerrekorde und treibt selbst jene Kinomuffel ins Kino, die nur einmal alle drei Jahre ins Kino gehen - um den neuen Bond Film zu sehen.
Die pure Andeutung einer Kritik an Bond gleicht vielen Fans einer Majestätsbeleidigung. Aber so weit sind wir ja noch nicht, dass wir Kritik üben wollen. Erst einmal wollen wir schauen, wo der kultigste Actionheld der Filmgeschichte seine Wurzeln hat: Und sie liegen auf Jamaica.

Die Mission


Am Anfang stehen ein Wunsch und ein Rechteproblem.
Der aus Queens stammende Low Budget Produzent Albert R. Broccoli zieht Anfang der 1950er Jahre nach London um, wo es ihm die staatlichen Fördergelder für britische Produktionen erleichtern, Filme zu drehen. Schon bald stößt er auf eine Romanreihe, die ihn in ihren Band zieht. Der britische Autor Ian Fleming lässt seinen Geheimagenten 007 alias James Bond einige wagemutige, stets von Nachdenklichkeit durchzogene Abenteuer erleben.
Schon bald plant Broccoli, Bonds Abenteuer ins Kino zu bringen, stellt jedoch nach kurzer Recherche fest, dass die Rechte bereits verkauft sind.
Ein kanadischer Theaterregisseur namens Harry Saltzman besitzt die Rechte und will damit ins Filmgeschäft einsteigen, verfügt jedoch weder über das Geld noch die Fachkenntnis, wirklich einen Film daraus zu machen.

Ein gemeinsamer Freund, der Drehbuchautor Wolf Mankowitz, bringt die beiden Bond-Enthusiasten zusammen. Saltzman weigert sich zwar, die Rechte abzutreten, doch gemeinsam gründet man die Produktionsfirma Eon Productions, und wagt sich an das eigene Abenteuer, Bond endlich auf die Leinwand zu bringen.

Der Fall


Als Broccoli und Saltzman sich zusammentun, erscheint gerade der neunte Bond-Roman „Thunderball“, der ironischerweise das "Abfallprodukt" eines Drehbuchversuchs ist, mit dem Fleming selbst zwei Jahre zuvor Bond auf die Leinwand bringen wollte.
Die Auswahl an vorhandenen Stoffen ist daher reichlich. Zunächst wollen Broccoli und Saltzman ihre von Anfang an als Reihe ausgelegte Filmabenteuer mit dem ersten Bond-Roman beginnen: „Casino Royale“. Doch bald stellt sich heraus, dass der Plot zu komplex ist, um ihn sauber zu erzählen, also sucht man sich den seinerzeit geradlinigsten der Romane heraus: „Dr. No“ von 1958. In diesem soll Bond das Verschwinden eines MI6 Agenten auf Jamaika aufklären, wobei er den finsteren Plänen des bösen Dr. No auf die Schliche kommt.
Quelle: DVD „James Bond jagt Dr. No“ © Twentieth Century Fox
Einer der ersten Autoren, die an dem Script für JAMES BOND JAGT DR. NO arbeiten, ist Wolf Mankowitz – und hier beginnen bereits die ersten Legenden, die das Bond Abenteuer Nr. 1 umranken.
Gesichert ist, dass es zwischen Mankowitz und den Produzenten Broccoli und Saltzman zu Unstimmigkeiten kommt. Der Legende nach verfasst Mankowitz ein Drehbuch, das den zugrundeliegenden Roman weitestgehend ignoriert. Stattdessen macht er aus Dr. No einen fiktiven Affengott, den die naive jamaikanische Bevölkerung anbetet, und gibt dem Filmbösewicht ein Kapuzineräffchen als Haustier. Später wird es heißen, er habe Bond einen Affen als Bösewicht gegenübergestellt.
Broccoli und Saltzman sollen Mankowitz gebeten haben, einen neuen Versuch zu starten und sich diesmal enger an die Vorlage zu halten.
Am Ende soll Mankowitz mit dem Script für den Film unzufrieden gewesen sein. Er soll ein Desaster vorausgesehen, und aus Furcht vor einem Rufschaden darauf bestanden haben, dass sein Name aus den Credits gestrichen wird. Gesichert ist keine dieser Aussagen, aber sie halten sich hartnäckig. 

Schließlich erhält Mankowitz' Partner Richard Maibaum den Credit fürs Drehbuch.

Der Agent


Wer übrigens glaubt, die Debatten und langen Suchen nach dem geeigneten Bond-Darsteller wären ein Phänomen der Neuzeit, muss sich eines Besseren belehren lassen. Schon 1961 erweist sich die Suche nach dem perfekten James Bond als Riesenherausforderung.

Usprünglich wünschen sich Broccoli und Saltzman Cary Grant für die Rolle des Geheimagenten, doch der will sich nur für einen Einzelfilm verpflichten, während den Produzenten eine Filmreihe vorschwebt und sie einen Schauspieler suchen, der für wenigstens fünf Bond-Filme unterschreibt. Weitere Schauspieler lehnen die Rolle aus anderen Gründen ab, darunter Patrick McGoohan (dem heutigen Publikum am ehesten als böser König Edward I. in BRAVEHEART in Erinnerung) und David Niven (der Bond später in der Parodie CASINO ROYALE spielen wird).

Broccoli entdeckt den jungen schottischen Schauspieler Sean Connery in dem Abenteuerfilm DAS GEHEIMNIS DER VERWUNSCHENEN HÖHLE, und ihm gefällt die Körperlichkeit, mit der Connery den Faustkampf im Film absolviert. Seine Frau bestätigt ihm außerdem, dass Connery sexy sei. Doch Connery stößt auf wenig Gegenliebe bei Ian Fleming, der Bond als einen Briten aus gehobenem Hause sieht, ein Bild das Connery, der Schotte aus der Arbeiterklasse, nicht ansatzweise erfüllt. Auch der Vertrieb des Films, die MGM Studios, sind von Connery nicht angetan.
Quelle: DVD „James Bond jagt Dr. No“ © Twentieth Century Fox
Broccoli, Saltzman und Fleming halten noch einen Casting-Wettbewerb ab, an dessen Ende das Model Peter Anthony gewinnt. Der hat zwar das passende Aussehen für Bond, doch ihm fehlen die darstellerischen Qualitäten.
So fällt die Rolle also Connery zu, der mit seinem Schneid und einer Aura von Wagemut überzeigt. Regisseur Terence Young schnappt sich den 30-jährigen Schotten, der gerade für fünf Bond Filme unterschrieben hat, schleppt ihn zu seinem Schneider, seinem Friseur (der ein passendes Toupet für den bereits kahlen Schauspieler wählt) und ins gehobene Londoner Nachtleben, mitsamt den Casinos, Edelrestaurants und Frauen der Oberschicht. Young bringt Connery bei, wie er sich galant und cool in dieser Welt zu bewegen hat.

Der Schurke 


Ebenfalls bereits damals stellt sich die Frage, wer den von Dr. Fu Man Chu inspirierten Schurken Dr. No spielen soll. Ian Fleming selbst wünscht sich seinen Cousin Christopher Lee in der Rolle (Lee wird später den Bondbösewicht Scaramanga spielen – und des öfteren Dr. Fu Man Chu!), der jedoch ablehnt. Auch Noël Coward, seinerzeit Inbegriff des britischen Snobismus und vor allem als Theaterautor bekannt, lehnt die Rolle mit dem legendären Telegramm „Dr. No? No! No! No!“ ab. Vermutlich, weil er keine Figur mit Metallhänden spielen will. Max von Sydow ist bereits für einen anderen Film unter Vertrag, und so erhält am Ende der Kanadier Joseph Wiseman die Rolle des Dr. No (der mit Ach und Krach zehn Minuten im Film zu sehen ist), nachdem er von den Maskenbildern einen etwas chinesischeren Touch erhalten hat.

Das Girl


Das erste Bond-Girl wird gleichzeitig auch eines der ikonischsten – die Szene, in der Ursula Andress singend aus dem Meer steigt, gilt heute als einer der Meilensteine der Filmgeschichte. Broccoli sucht für die Figur der Honey Rider ein „junges, unverbrauchtes Gesicht, das keine allzu üppige Gage verlangt“. Ebenfalls mag geholfen haben, dass Broccoli sie zum ersten Mal auf einem Foto ihres damaligen Ehemanns John Derek sieht (der später die Karriere seiner letzten Frau Bo Derek startete), der Andress auf einem Wet-T-Shirt Wettbewerb fotografiert hatte.
 Während Joseph Wiseman einen der einzigen frühen Bond-Schurken spielt, der nicht nachsynchronisiert werden musste (wie etwa Gert Fröbe, dessen sächsisches Englisch völlig unverständlich war), wurde Ursula Andress aufgrund ihres schweren schweizerischen Akzents von Nikki Van der Zyl synchronisiert (die sie auch in allen späteren Filmen sprach), da diese Andress' Sprachklang gut imitieren konnte und ihr lediglich einen leichten schweizer Akzent gab.
Zwar hört man immer wieder das Gerücht, dass Andress' Gesang im Film von Diana Coupland stamme, doch das ist ein Irrtum. Auch der Gesang stammt von Van der Zyl, der Gesang des entsprechenden Tracks auf dem Soundtrackalbum stammt jedoch von Coupland, so dass sich hier schon früh eine Missinterpretation festsetzte, Coupland habe auch im Film den Text gesungen.
Die kurze Sequenz, in der Bond in Riders Gesang einstimmt stellt übrigens den einzigen Fall dar, in dem Bond jemals singt!

Ebenfalls noch recht neu ist seinerzeit der Bikini - der gar keiner ist. Da es den Bikini als solches nur rudimentär gab, trägt die Andress noch einen etwas umfunktionierten BH. JAMES BOND JAGT DR. NO verhilft dem Bikini zu einem kurzlebigen Hype, der zwar wieder abebbt, der späteren, ungebrochenen Popularität des Bikinis aber den notwendigen Unterbau verleiht. (2001 wird das von Andress getragene Stück für über 60.000 Dollar versteigert!)

Die Änderungen


Man mag es heute kaum glauben, aber JAMES BOND JAGT DR. NO hat ein absolut mickriges Budget: gerade einmal 1 Million Dollar stehen den Produzenten seinerzeit zur Verfügung, und ein großer Teil davon geht für die Bühnenbilder drauf.

Gedreht wird neben den Pinewood Studios in London (noch heute traditionell die Studios für alle Bond Filme) auch an Originalschauplätzen auf Jamaika.

Obwohl sich das neue Drehbuch deutlich enger an die Vorlage hält als die „Affengott“-Version, gibt es einige Änderungen. Zum einen ist die Figur des Bond deutlich cooler – und auch kaltschnäuziger als im Roman. Sie Szene, in welcher er einen Gegner eiskalt erschießt, kommt nur mit Mühe an der Zensur vorbei. Regisseur Terence Young schließlich lässt dem ganzen Film einen flapsigen Ton angedeihen. Aus gutem Grund, denn das Drehbuch ist für 1962er Verhältnisse derart mit Sex und Gewalt gefüllt, dass er einerseits fürchtet, dass man gegen den Film protestieren würde, und andererseits er nicht durch die Zensur käme. Also erzählt er die schärfsten Szenen mit einem deutlichen Augenzwinkern, um sie zu entschärfen.
Quelle: DVD „James Bond jagt Dr. No“ © Twentieth Century Fox
Auch an anderer Stelle entschärft man den Roman. So sind etwa die Frauen im Roman, wenn Bond ihnen erstmals begegnet, immerzu nackt. Sowohl Sylvia Trench, die Bond in seinem Hotelzimmer findet, als auch Honey Rider, als sie aus dem Meer kommt. (Die Drehbuchvariante schildert Honey Rider allerdings auch als "nackt, mit Ausnahme eines Hauchs"). 
Andere Änderungen finden notgedrungen und auch aufgrund des geringen Budgets statt. So wird Honey im Roman etwa gefoltert, indem sie am Boden gefesselt von Krabben erdrückt wird. Doch die für den Film angelieferten Krabben sind zum großen Teil erfroren, tot oder schwer verstümmelt, wodurch Honey schließlich, etwas lasch, einfach nur langsam in Wasser ertränkt werden soll, als Bond sie rettet.

Ebenfalls dem Budget geschuldet ist eine der absurdesten Szenen des Films: Um den Eindruck zu vermitteln, Dr. Nos Basis läge unter Wasser, organisiert man Filmaufnahmen von Fischen, die man durch die Fenster sehen soll. Erst beim Dreh zeigt sich, dass es Nahaufnahmen aus einem Aquarium sind. Spontan werden die viel zu großen Fische im Film von Dr. No damit erklärt, das Fenster habe einen „Vergrößerungseffekt“. Ein derartiges Maß an Improvisation wäre in heutigen Bond-Filmen kaum noch vorstellbar.

Wer sich jemals gewundert habe, wieso Bond bei seiner Flucht im Luftschacht von Wasser überspült wird, findet auch hier die Lösung im Roman. Denn dort ist die Flucht Bestandteil von Dr. Nos Plan, der Bond testen will, und ihm daher einige Hürden und Hindernisse in den Weg legt, die der Agent bewältigen muss. Weshalb der generelle Erzählstrang im Drehbuch entfernt, aber gerade diese Prüfung für Bond im erhalten bleibt, ist in den Nebeln der Geschichte verlorengegangen.

Eine eher peinliche Änderung findet sich aufgrund der Lokalisation in der deutschen Variante. Nun ist schon im Englischen das Akronym der Geheimorganisation SPECTRE, für die Dr. No arbeitet, nicht besonders seriös, steht es doch für „Special Executive for Counter-Intelligence, Terrorism, Revenge and Extortion“ ein Name also, den man eher bei einer Bande Zehnjähriger beim Räuber und Gendarm Spiel erwarten würde – welche intelligenten Superschurken würden ihren Verein so nennen?
In der deutschen Version jedoch wird aus SPECTRE kurzerhand GOFTER: „Geheimorganisation für Terror, Spionage, Erpressung und Rache.“ Die Ernsthaftigkeit mit der Dr. Nos Synchronsprecher diese Bezeichnung hervorbringt, kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Noch dazu ist es inkonsequent, müsste es doch eigentlich GOFTSER heißen ...

Der Film


Nach 58 Drehtagen schließlich ist DR. NO im Kasten. Und hier muss man zur Kritik kommen: Aus heutiger Sicht ist der Film nur schwer erträglich. Zum einen sieht man ihm sein geringes Budget und die Tatsache, dass hier nur leidlich erfahrene Hobbyfilmemacher am Werk waren, in jeder Szene an. Der Film ist aus heutiger Sicht auch nicht besonders gut erzählt. Der Antagonist taucht erst in der zweiten Hälfte des dritten Akts auf. Bonds Arbeit als Agent beschränkt sich darauf, etwas orientierungslos durch die Gegend zu taumeln und dann und wann einen Anschlag auf sein Leben abzuwehren.

Der Film ist in beschämendem Maße rassistisch, etwa in der Darstellung der naiven jamaikanischen Bevölkerung, was in der hochgradig stereotypen Darstellung und Sprache von Bonds Gehilfen Quarrell gipfelt. Die stereotype Sprache wird in der deutschen Synchronisation zwar entschärft, aber auch hier ist er natürlich der einzige „Held“ der Handlung, der stirbt.
Und natürlich ist der Film – wie im Grunde alle Bond-Filme – extrem sexistisch, jedoch noch mit einer etwas pikanteren Note, immerhin stammt der Film aus den frühen Sechzigern, und die Art und Weise in der Frauen hier wahlweise Opfer, hilflos oder stumpfe Liebesobjekte des Helden sind, sollte einem als Zuschauer die Schamesröte ins Gesicht treiben.
Quelle: DVD „James Bond jagt Dr. No“ © Twentieth Century Fox
Aus heutiger Sicht wirkt auch der Plan des Bösewichts bestenfalls seltsam. Nicht umsonst gelingt es Michael Myers 1997 in seiner Komödie AUSTIN POWERS so hervorragend, die Bond-Bösewichter der 60er durch den Kakao zu ziehen, deren Handeln immer weniger psychologisch begründet ist, und eher – dramaturgisch. Zwar führt Dr. No an, er wolle sich rächen, weil er nie ernst genommen wurde, aber der Umgang des Films mit Atomkraft und die Tatsache, dass Dr. No mit Atom-Radio-Wellen (oder so) die Raketenstarts stören will, zeigen deutlich, dass Atomkraft und Raumfahrt 1962 noch diffuse Begriffe aus der Science Fiction waren. Zwar macht sich der Film die Mühe, irgendwas mit Brennstäben und Kühlwasser einzubauen, letzteres aber als offen zugänglichen Pool in den Kontrollraum zu legen, macht den Film zu einem Kind seiner Zeit, das gerne ein wenig belächelt werden darf.

Alles in allem ist JAMES BOND JAGT DR. NO einer der langweiligsten Vertreter des Franchises, voller Fehler und Probleme (etwa einige Anspielungen auf „Bonds letzten Fall“, welcher laut Romanchronologie „Liebesgrüße aus Moskau“ wäre, der als Film aber erst nach „Dr. No“ kommt), doch das tut seinem Erfolg keinen Abbruch. Ironischerweise läuft nur einen Abend vor der Bond-Premiere am 5. Oktober 1962 die erste Folge der Fernsehserie SIMON TEMPLAR im britischen Fernsehen – und etabliert Roger Moore als Figur, die einem Geheimagenten gar nicht so unähnlich ist.

In Europa spielt der Film schnell sensationelle 6 Millionen ein. Als DR. NO im Mai 1963 erstmals in den USA anläuft (wo man seit 1961 daran arbeitet, den Namen James Bond bekannt zu machen), kommen noch einmal 2 Millionen hinzu. In den USA wird der Film 1965 erneut aufgeführt, zusammen mit dem Nachfolger LIEBESGRÜßE AUS MOSKAU und noch einmal 1966, als GOLDFINGER startet. Bis heute hat JAMES BOND JAGT DR. NO wenigstens 60 Millionen weltweit eingespielt, allein an Kinoaufführungen. Was mittlerweile an Verkäufen im Heimkinomarkt hinzugekommen ist, mag kaum zu zählen sein.

Die Gimmicks


Die Bond-Reihe ist auch und vor allem für ihre Gimmicks berühmt, von explodierenden Kugelschreibern bis hin zu tauchenden Autos, aber auch für Regelmäßigkeiten wie die Bond-Girls, das Intro und exotische Locations.

Eine dieser Regelmäßigkeiten ist mit Sicherheit die Eingangssequenz, bei der man Bond durch den Lauf einer Waffe beobachtet, bis er sich umdreht und den unsichtbaren Schützen niederstreckt. Die Idee für diese Eröffnung kommt dem Introdesigner Maurice Binder in letzter Minute. Er montiert eine Lochkamera hinter einen echten Waffenlauf und filmt damit Connerys Stuntdouble Bob Simmons. Connery selbst dreht diese Sequenz erst 1965 im vierten Bond Film FEUERBALL.

Andere Regelmäßigkeiten, wie etwa den Waffenbastler Q oder auch Bonds mit Waffen gespicktes Auto, sucht man in DR. NO noch vergeblich. Hier fährt Bond Leihwagen, und Q taucht erst im dritten Bond GOLDFINGER auf (Darsteller Desmond Llewelyn hingegen hat schon im Zweit-Bond LIEBESGRÜßE AUS MOSKAU einen kleinen Auftritt in einer anderen Rolle.)

Dafür schmilzt Miss Monepenny schon in DR. NO vor Bond dahin. Darstellerin Lois Maxwell ist ursprünglich übrigens für die Rolle der Sylvia Trench vorgesehen, lehnt aber ab, da sie in der Hotelszene nur ein Hemd tragen soll (was immer noch besser ist als die Roman-Variante!), doch als Ian Fleming sie sieht, hält er sie für perfekt, um Miss Moneypenny zu spielen, also erhält sie die Rolle.
Kleiner Gag am Rande: Im August 1961 wird in England das berühmte Gemälde "Porträt des Dukes of Wellington" von Francesco Goya gestohlen. Terence Young lässt das Bild auf einem Stück Pape nachmalen und stellt es als Requisite in Dr. Nos Geheimversteck auf. Grund genug für Bond, mal kurz zu zögern und genauer hinzuschauen.
Quelle: DVD „James Bond jagt Dr. No“ © Twentieth Century Fox
Auch M ist schon in DR. NO dabei, wenn auch eher in einer untegordneten Rolle. Hier ebenfalls erstaunlich: Das Gespräch, in welchem M Bond dazu rät, seine Waffe zu wechseln, da „Ihre beim letzten Fall Ladehemmungen hatte“, bezieht sich auf ein Ereignis in „Liebesgrüße aus Moskau“ - eine weitere Unsauberkeit in der Adaption des Romans.

Und natürlich finden sich in DR. NO bereits der, von Maurice Binder erstellte, psychedelische Vorspann und der Bondsong, der in diesem Falle allerdings noch nicht zum ikonischen Stilmittel wurde. Ganz anders der Vorspann, der übrigens lange Zeit das einzig rein animierte Bond-Intro bleibt. Erst mit Daniel Craigs Debüt in CASINO ROYALE kommt 2006 wieder ein reines Animationsintro vor.

Alles in Allem finden sich in DR. NO zwar schon ein oder zwei der Gimmicks und Spielereien, die sich durch die gesamte Reihe ziehen werden, doch tatsächlich ist der Film ein eher klassischer Agentenfilm, wenn er auch deutlich actionreicher und „spritziger“ angelegt ist als die üblichen Detektivfilme. Bond erweist sich als erster Actionheld im modernen Gewand: ein schnittiger, eloquenter Kerl, der noch den größenwahnsinnigsten Bösewicht zur Strecke bringt!

Der Mythos


Nun ist DR. NO mit Sicherheit nicht der beste Vertreter aus den vielen Filmen über James Bond, doch es ist ihm gelungen, ein Franchise und einen Helden zu kreieren, die bis heute Bestand und eine stetig wachsende Fangemeinde haben.

Interessant ist in diesem Zusammenhang, mit welcher Dynamik James Bond in DR. NO eingeführt wird – als hätte man bereits damals gewusst, dass hier ein Held für die Ewigkeit geschaffen wird.

Wenn die Kamera sich langsam durch das Casino bewegt, Sylvia Trench am Baccarat-Tisch zeigt, und das heute nur allzu bekannte Profil von Sean Connery im Anschnitt über die Schulter. 
Wenn Bond ihr, noch nicht im Bild, ein Kompliment macht, sie nach ihrem Namen fragt, und sie sich mit derselben Frage nach seinem Namen revanchiert. Jetzt erst sieht man den Helden in voller Pracht. Er wartet, entzündet zunächst cool seine Zigarette, bevor er jene ikonischen Worte spricht: „Bond. James Bond“, während im Hintergrund leise Monty Normans Bond-Theme spielt, das in DR. NO übrigens noch recht häufig im Film zu hören ist
Diese eine kurze Szene schreibt Filmgeschichte und gilt bis heute als eine der wichtigsten und ikonischsten aller Zeiten. Mit dem Wissen im Hinterkopf, was aus dem Franchise werden wird, wirkt sie gleich noch gewichtiger.

Überhaupt ist heutzutage ein deutlicher Wandel in der Bedeutung James Bonds zu erkennen. Man mag es sich heute gar nicht mehr vorstellen, doch als Ian Fleming Anfang der Fünfziger James Bond erfindet, hat er das Ziel, einen Gentleman-Agenten zu erschaffen. Er stattet Bond daher mit all den Spärenzchen aus, die damals für britische Gentlemen stehen: Bond ist gebildet, gutaussehend, ein Ladykiller, trägt Smoking, trinkt edle Cocktails, hängt im Casino rum und in teuren Hotels, fährt teure Schlitten und ist ein Jetsetter. Bonds gesamtes Wesen gründet auf den Vorstellungen der Fünfziger, wie ein Gentleman zu sein habe. Von daher ähnelt er deutlich dem Agenten in xXx – TRIPLE X, der ja tatsächlich gezielt so konzipiert wurde, dass er alle Attribute eines anarchistischen Adrenalinjunkies aufweist!
Quelle: DVD „James Bond jagt Dr. No“ © Twentieth Century Fox
Es dauert jedoch nicht lange (maximal bis in die Ära des Roger Moore), und Bond wird zum Vorbild dessen, was einen Gentleman auszeichnet: Seine Autos, seine Coolness, seine Frauen. Orientierte sich der frühe Bond noch an den echten Gentlemen Englands, wird er bald zur Schablone und zum Vorbild für andere. Frauen himmeln Bond an, den sie als echten Kerl sehen, und Männer sehen in Bond ein heimliches Vorbild.
Bald kennt eine ganze Generation Bond nur noch aus Filmen, die lange nach DR. NO entstanden sind, mittlerweile sind es wenigstens zwei oder drei Generationen. Bonds ewiges Verharren in den stylischen Etiketten der Fünfziger ist nur schwer aufzubrechen, so eng sind sie an die Figur gebunden. Als Brosnans Bond 1995 einen weiblichen M vorgesetzt bekommt, gilt das schon als Revolution, und führt zu einer Dialogzeile, in der Bond sich als „sexistischen Dinosaurier“ beschimpfen lassen muss.

Als Daniel Craigs Bond in CASINO ROYALE Zweifel und Gefühle zeigen darf, gilt das als umwälzende Neuerung – dabei ist es die vermutlich treueste Umsetzung des Romans „Casino Royale“, denn in den frühen Bond Romanen zweifelt der Agent nahezu ständig.

Mittlerweile ist Bond ein Image, eine Figur, die sich längst von einer reinen Filmfigur eines Agenten gelöst hat. Jede Ära, jeder Darsteller, hat der Figur ihren Stempel aufgedrückt, und doch scheint es Attribute zu geben, an die sich die Fangemeinde bis heute beharrlich klammert. Die aktuellen Diskussionen, Bond mit einem möglicherweise schwarzen Schauspieler zu besetzen, führt zu einer Grundsatzdiskussion über Bonds Charakter. Die leisesten Andeutungen, vielleicht einen weiblichen James Bond ins Rennen zu schicken, werden einfach niedergebrüllt.

Dabei vergisst man schnell, dass dieselben Debatten schon 1962 stattfanden. Ein Schotte aus dem Arbeitermillieu als britischer Eliteagent James Bond? Ian Fleming selbst war entsetzt, und doch gilt Connery heute noch vielen Fans als der einzig echte Bond.

Am Ende ist Bond eben eine Film-Figur, der die unmögliche Aufgabe zufällt, eine Spanne von mittlerweile über 50 Jahren zu bedecken. Die Welt wandelt sich, und auch Bond versucht, sich zu wandeln, und doch ist da etwas in der Figur, das die Fans nicht verändert haben wollen. Eine Form von diffusem, individuell geprägtem Gefühl, was, oder wer, James Bond zu sein habe. Das macht es schwer, die Rolle zu modernisieren, und doch muss sie modernisiert werden, denn ein Film wie JAMES BOND JAGT DR. NO zeigt eben auch, dass die Rolle und ihre Werte nicht dauerhaft in den Fünfzigern und Sechzigern verharren kann, wenn sie glaubhaft bleiben soll.

Wir wünschen uns daher einen modernen Bond. Einen Bond, der den heutigen Zeitgeist einfängt, so wie der erste Bond versuchte, den Zeitgeist einzufangen. Das sehen wir als das Wesen Bonds, und da ist es unerheblich, ob Bond schwarz, weiß, groß, klein, männlich oder weiblich ist. Bond entkommt den meisten seiner Gefahren, weil er anpassungsfähig ist – doch gerade seine fehlende Anpassungsfähigkeit als Filmidol macht es ihm immer wieder schwierig, in modernen Filmen zu funktionieren.
In Japan kommt es beinahe zu einer witzigen Katastrophe! Die Verleiher dort interpretieren den Roiginaltiel erst als "Dr? No!" und nennen den Film beinahe "Wir brauchen keinen Arzt". Erst in letzter Sekunde wird der Fehler bemerkt. Das hier gezeigte Plakat ist zumindest korrekt.
Quelle: DVD „James Bond jagt Dr. No“ © Twentieth Century Fox
Übrigens:
Sean Connery erfüllt seinen Vertrag über fünf Filme. Nach LEBEN UND STERBEN LASSEN scheidet er aus dem Geheimdienst Ihrer Majestät aus und überlässt das Feld George Lazenby. Doch die Welt ist noch nicht bereit dazu, einen neuen Bond zu akzeptieren, und verreißt den neuen Bond gnadenlos. (Zu Unrecht, wie viele Fans heute finden!)

Im siebten Abenteuer DIAMANTENFIEBER springt Connery noch einmal ein, bevor er den Wodka-Martini endgültig an Roger Moore übergibt.
1983 tritt er überraschend ein letztes Mal als Bond auf, in dem quasi Remake SAG NIEMALS NIE. Der gilt zwar nicht als „offizieller“ Bond Film und entfällt daher aus der Zählung, doch er ist der letzte Bond Film, der jemals die Organisation SPECTRE erwähnt.

Zumindest bis zum 5. November 2015, als der 24. Bond Film SPECTRE der Geheimorganisation für Terrorismus, Spionage, Erpressung und Rache ein fulminantes Comeback beschert!

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