08.12.16

Porträt: Kirk Douglas – 100 Jahre und nur ein bisschen weise

Kaum ein Star verkörpert das klassische amerikanische Hollywood-Kino des „Golden Age“ so intensiv wie Kirk Douglas. Er feiert nicht nur als Schauspieler große Erfolge, sondern auch als Produzent. Er fördert das Regiewunderkind Stanley Kubrick, und verhilft dem etablierten, aber im anti-kommunistischen Amerika in Ungnade gefallenen Drehbuchautor Dalton Trumbo zu neuen Ehren.
All seinen Rollen, vor allem den Großen, ist gemeinsam, dass sie von einem Gewissen geleitet werden - so wird er zur Verkörperung der wahrhaftigen Kinohelden seiner Zeit.
Doch trotz des großen Erfolgs als Schauspieler, Förderer und Produzent treiben Douglas bis heute tiefgreifende künstlerische Niederlagen an, und immer wieder muss er privat mit Rückschlägen und dem zwiespältigen Verhältnis zu seinem Sohn Michael Douglas kämpfen.
Ein Jahrhundert Kirk Douglas bedeutet ein Jahrhundert im Licht eines Künstlers, der das Kino geprägt hat, der vor und hinter der Kamera Prüfungen bestand, und der noch immer vor allem eines hervorruft: Staunen.
Quelle: DVD „Champion“ © Republic Pictures (Bisher keine deutsche Heimvideoauswertung. Deutscher Titel: Zwischen Seilen und Frauen)

Biancas Blick:Kirk ist einzigartig. Er hat eine schier übermächtige körperliche Präsenz, was der Grund dafür ist, dass er auf der Leinwand über dem Publikum emporragt wie eine Flutwelle an ihrem Scheitelpunkt. Auf der ganzen Welt verehrt, ist er heute die letzte lebende Leinwandlegende, die nach dem Krieg zum Superstar wurde, jene besondere Sorte von Filmidol, die überall erkannt wird, und dessen strahlende Leinwandhelden unvergessen sind.”
- Jack Valenti, Präsident der Motion Picture Association of America, Amerikas größtem Verband von Filmproduktionsgesellschaften
 

Man bekommt nichts geschenkt


Kirk Douglas wird am 9. Dezember 1916 als Sohn russischer Einwanderer in New York geboren. Da er gut Jiddisch spricht, beherrscht er auch die deutsche Sprache bis heute. Seine Kindheit ist geprägt von großer Armut, zumal er sechs Schwestern hat. Bereits das Geld für die Schule, wie auch später für das College, muss er sich selbst verdienen, da seine Eltern gerade so für den Lebensunterhalt der Familie aufkommen können. „Mein Vater, der in Russland Pferdehändler gewesen war, hat sich ein Pferd und ein kleines Fuhrwerk gekauft, und wurde ein Ragman, ein Lumpensammler. Er kaufte alte Lumpen, Metallteile und anderen Schrott für wenige Pennies, Nickels oder Dimes. Selbst in der Eagle Street, dem ärmsten Viertel der Stadt, wo alle Familien ums Überleben kämpften, stand der Lumpensammler auf der untersten Sprosse der Leiter. Und ich war der Sohn des Lumpensammlers.“
Quelle: DVD „Die Seltsame Liebe der Martha Ivers“ © SchröderMedia HandelsgmbH
Seine Mutter unterstützt zudem viele Familien im Viertel, denen es noch schlechter geht als ihrer. „Du musst dich um andere kümmern, erklärt sie ihrem Sohn, der das nie vergessen wird und diesen Gedanken im Alter von 98 Jahren wieder aufgreift. Weiter sagt er rückblickend: „Ich bin in unglaublicher Armut groß geworden. Da gab es nur einen Weg: aufwärts.“

Nach dem College beschließt Douglas, englische Literatur und Chemie zu studieren und erhält dafür, dank seiner guten sportlichen Leistungen als Ringkämpfer, ein Stipendium. Doch entdeckt er im Studienverlauf seine Liebe zur Schauspielerei und beginnt, mit Entgegennahme eines zweiten Stipendiums, an der American Academy of Dramatic Arts Schauspielerei zu studieren. Er erinnert sich an einen Auftritt im Kindergarten, als er 5-jährig in The Red Robin of Spring“ auftritt und seinen ersten großen Applaus einheimst.
Eigenen Aussagen zufolge übt Kirk Douglas während des Studiums rund 40 Jobs aus, bevor er sein erstes Engagement als Schauspieler erhält.

Ende der 30er Jahre ergattert er endlich kleinere Auftritte in diversen Broadway-Produktionen und erlangt dadurch größere Bekanntheit.
Noch zu Studienzeiten lernt er zudem seine erste Frau, Diana Dill, kennen, die ebenfalls Schauspielern ist und mit der er später zwei Söhne bekommt – Michael und Joel. Ihr zufolge provoziert Douglas sogar eine Nacht im Gefängnis, als er keinen Platz zum Schlafen findet. Durch ihn lernt auch sie bitterste Armut kennen.
Unterbrochen wird sein künstlerischer Aufstieg durch den Zweiten Weltkrieg. Ab 1941 dient er zwei Jahre bei der US Navy und kehrt 1943 an den Broadway zurück.
 

Erste Schritte zum Erfolg


Nach seiner Rückkehr übt er diverse Jobs in der Branche aus aus. So arbeitet er im Theater, beim Radio und ist in verschiedenen Werbespots zu sehen.
1946 gibt er in DIE SELTSAME LIEBE DER MARTHA IVERS an der Seite von Barbara Stanwyck sein Leinwanddebüt. Eigentlich will Douglas zu diesem Zeitpunkt am Theater bleiben, doch seine Freundin und Kollegin Lauren Bacall schanzt ihm diese Filmrolle zu, indem sie ihm bei Regisseur Hal Wallis ein Vorsprechen ermöglicht.


Die Kritiken sind Douglas gegenüber derart wohlwollend, dass er bereits im darauffolgenden Jahr etwas größere Rollen in GOLDENES GIFT und VIERZEHN JAHRE SING-SING erhält. Darin agiert er neben ebenso aufstrebenden Stars wie Robert Mitchum, Burt Lancaster, mit dem er bis 1986 sieben Filme drehen wird, und Pam Greer.
Tony Thomas, einer seiner späteren Biographen, fasst das Einzigartige an Douglas zusammen:
Sein Stil und seine Persönlichkeit waren auf der Leinwand spürbar, etwas, das nicht oft vorkommt, nicht einmal bei den besten Schauspielern. Douglas hatte, und hat, ein unverwechselbares, ganz eigenes Auftreten. Er strahlt eine gewisse, unerklärbare Aura aus, und das ist es, ebenso wie sein Talent, was den Erfolg seiner Filme ausmacht.
Quelle: DVD „Goldenes Gift“ © STUDIOCANAL
Gleich für seine erste Hauptrolle in dem Boxerdrama ZWISCHEN FRAUEN UND SEILEN heimst Douglas 1949 auch seine erste Oscarnominierung ein. Der Film wird in gerade mal 23 Tagen gedreht und kostet insgesamt nur 600.000 Dollar. Ein halbes Jahr später wird eine 30-minütige Radioadaption ausgestrahlt, in der Douglas seine Filmrolle spricht.
Die Kritik bescheinigt dem aufstrebenden Star:
Douglas lässt eine große Konzentration im Ring erkennen. Seine enorme Fokussierung auf seinen Gegner zieht den Zuschauer in den Ring. Seine vielleicht beste Eigenschaft ist sein patentiertes Zähnefletschen und grimassieren ... er lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass er ein Mann mit einer Mission ist.” 

Oben angekommen


Dank seiner beeindruckenden Leistung werden Produzenten und Regisseure auf Douglas aufmerksam, der sich ab 1950 vor Rollenangeboten kaum noch retten kann. Er selbst weiß, dass er seine Schüchternheit überwinden muss, um effektiver in der Öffentlichkeit auftreten zu können, also arbeitet er hart an sich. Für Douglas ist ab diesem Punkt klar, dass nur eines für ihn zählt: Erfolg. Und dem wird er alles andere unterordnen – auch seine Familie, was diese noch mindestens zwei Generationen später zu spüren bekommt.

Sein ganzes Leben ist bereits bestimmt von dem Wunsch bestimmt, sich seinem Vater, dem Lumpensammler, gegenüber zu beweisen. Ihm zu zeigen, dass er, Kirk, Erfolg hat, und nichts wünscht er sich mehr, als dass sein Vater dies mit Stolz quittiert.
Seine zweite Frau Anne Buydens erinnert sich:
Er war von seiner Mutter und seinen Schwestern aufgezogen worden, und schon als Schuljunge musste er arbeiten, um die Familie zu unterstützen. Ich denke, ein großer Teil von Kirks Leben bestand aus der gigantischen Bemühung, Anerkennung in den Augen seines Vaters zu gewinnen ... Nicht einmal vier Jahre Psychoanalyse konnten etwas an dem Antrieb ändern, der als Wunsch danach begonnen hatte, sich selbst zu beweisen.
Quelle: DVD „Young Man with a Horn“ © Warner Home Video (Noch keine deutsche Videoauswertung. Deutscher Titel: Der Jazztrompeter)
Kirk Douglas möchte das bei seinem eigenen Sohn Michael anders machen, ihm mit Stolz begegnen, ihn fördern und seinen Weg ebnen – doch er wird die Fehler seines Vaters wiederholen.

1951 spielt Kirk Douglas die Hauptrolle in Billy Wilders erstem Versuch als Drehbuchautor und Produzent. REPORTER DES SATANS zeigt Douglas als skrupellosen Reporter. Der Film ist kontrovers und kritisch und somit seiner Zeit weit voraus. Er wird vom Publikum verschmäht, heimst in Venedig aber den Preis für den Besten Ausländischen Film ein. Kirk Douglas bezeichnet den Streifen als
mitleidlos und zynisch ... eine verzerrte Betrachtung von Korruption, Mob-Psychologie und der freien Presse. Vielleicht kam er der Wirklichkeit zu nahe.”

In den folgenden fünf Jahren spielt er in nicht weniger als zwölf Filmen die Hauptrolle, darunter die Klassiker DIE GLASMENAGERIE, 20.000 MEILEN UNTER DEM MEER (einem seiner wenigen komödiantischen Auftritte), DER MANN IHRER TRÄUME und DIE FAHRTEN DES ODYSSEUS.
Hat er 1949 noch etwa 15.000 – 20.000 Dollar Gage pro Film erhalten, sind es nun bis zu einer halben Million!
 

Das zweite Standbein


1955 reicht Douglas die Schauspielerei allein nicht mehr aus. Er wünscht sich mehr künstlerischen Einfluss und Selbstständigkeit bei der Wahl des Filmstoffes und der Rollen. Er gründet seine eigene Produktionsfirma Bryna Productions, die er nach seiner Mutter benennt.

Nun ist der Weg frei für die großen Ambitionen und Douglas wird ihnen unbeirrbar folgen. WEGE ZUM RUHM, DIE WIKINGER, DER LETZTE ZUG VON GUN HILL und VINCENT VAN GOGH sind seine beeindruckenden Einstiegsprojekte, bei denen er auch stets die Hauptrolle übernimmt. Seine Darstellung des Malers Vincent Van Gogh gilt bis heute als eine seiner ausgefeiltesten und anspruchsvollsten Leistungen überhaupt. Der Film wird in Frankreich gedreht und basiert auf Irving Stones Bestseller. Kirk Douglas wird mit Filmpreisen überschüttet und erntet 1956 seine zweite Oscarnominierung, wird aber von Yul Brynner in DER KÖNIG UND ICH ausgeboten.

Quelle: Blu Ray „Vincent van Gogh - Ein Leben in Leidenschaft“ © Warner Home Video
Regisseur Vincent Minelli erklärt später: Ihm ist ein bewegendes und denkwürdiges Porträt des Künstlers gelungen – eines Mannes mit riesiger kreativer Kraft, ausgelöst durch schweren emotionalen Stress, der Furcht und dem Grauen des Wahnsinns.” Douglas selbst bezeichnet seine Rolle als die facettenreichste seiner Karriere – und damit hat er recht.

1959 kämpft Douglas um die Rolle des Judah Ben-Hur in dem gleichnamigen Film von William Wyler. Es soll das Prestigeprojekt für MGM werden, und so sieht Douglas in der Darstellung des jüdischen Fürsten Ben-Hur die passende Möglichkeit sein Rollenspektrum zu erweitern. Die skizzierte Figur bietet eine differenzierte emotionale Bandbreite und wäre für Douglas eine heldenhafte Rolle mehr. Doch das Studio und Regisseur Wyler wollen Charlton Heston, und so erlebt Douglas trotz seines Ruhms eine seiner wenigen künstlerischen Niederlagen.

1960 aber realisiert er im Gegenzug den Film, der ihn bis heute unsterblich macht: SPARTACUS.

SPARTACUS wird für Douglas zum Prestigeobjekt. Er will ein Werk schaffen, der noch gewaltiger und monumentaler ist als BEN-HUR, der im Vorjahr mit 11 Oscars ausgezeichnet wurde (einer davon an Charlton Heston in der Rolle, die Douglas sich wünschte) und bis heute an der Spitze der Filme mit den meisten Oscarpreisen thront auch wenn er sich den Platz mit TITANIC und DER HERR DER RINGE – DIE RÜCKKEHR DES KÖNIGS teilen muss. 

Die genauen Drehbedingungen und Hintergründe haben wir in unserer Filmbetrachtung zu SPARTACUS bereits vorgestellt.
Douglas konzipiert, kontrolliert und setzt durch, dass Stanley Kubrick die Regie übernimmt – was dieser bitter bereut –, sowie, dass Dalton Trumbo trotz offiziellem Berufsverbot offiziell als Drehbuchautor genannt wird. Letztere Entscheidung betitelt Douglas bis heute als eine seiner wichtigsten, sorgt doch genau diese Geste dafür, dass die Schwarze Liste Hollywoods in den darauffolgenden Jahren aufgelöst wird.

Quelle: DVD „Die Fahrten des Odysseus“ © Alive - Vertrieb und Marketing
(Obgleich dieser Ruhm nicht unumstritten ist. Es gibt immer wieder Stimmen, die Douglas vorwerfen, seine Rolle in der Auflösung der schwarzen Liste überzubewerten, und sich selbst zu heroisieren, da die Liste bereits aufgeweicht war (tatsächlich wurden schon vor SPARTACUS immer wieder gesperrte Künstler offen engagiert und Trumbo war quasi zeitgleich bereits als Autor für Otto Premingers EXODUS offiziell als Autor tätig), und Douglas erst dazu überredet werden musste, Trumbo als Autor zu nennen. Wie auch immer die Details der Vorarbeit aussehen mögen: Man kann mit Überzeugung behaupten, dass der Erfolg von SPARTACUS den letzten entscheidenden Schritt zur Auflösung der Schwarzen Liste darstellte.)

Noch  Jahrzehnte später resümiert Douglas über seine Verhandlungen:
Ich habe über 85 Filme gedreht, doch die Leistung, auf die ich am stolzesten bin, ist, dass ich die Schwarze Liste zu Fall gebracht habe.” Ihm war damals aber auch klar, dass das Einstehen für Trumbo und gegen die Blacklist auch das Ende seiner Karriere hätte bedeuten können. Seine Karriere befand sich mit diesem Kampf auf  Messers Schneide.
Heute hat sich in Hollywood die Legende – in welchem Ausmaß sie auch stimmen mag – verfestigt, dass mit SPARTACUS das Ende der Blacklist einherging. George Clooney, der mit Douglas gemeinsam ein Buch über die Geschichte geschrieben hat, wird nicht müde zu betonen, dass „in den Geschichtsbüchern dieser Film den Augenblick markiert, an dem die Schwarze Liste ein Ende fand.“
 

Das künstlerische Trauma


Doch der Verlust der Rolle des Ben-Hur wird nicht Douglas' größtes Trauma bleiben. Schon weil er sich am Ende der Geschichte als Held feiern konnte. Nein, sein größter Verlust wird viel schwerwiegendere Folgen haben.

Zu Beginn der 60er Jahre erwirbt Kirk Douglas die Rechte an Ken Keseys Roman „Einer flog über das Kukucksnest“. In der Figur des rebellischen Irrenhaus-Insassen McMurphy erkennt Douglas einen Charakter, der ein breitgefächertes emotionales Innenleben offenbart und eine klare Stellungnahme für Humanität, Menschlichkeit und die Unantastbarkeit der menschlichen Würde, die McMurphy nach und nach genommen wird.

Quelle: Blu Ray „Ace in the Hole“ © Eureka (Noch keine deutsche Videoauswertung. Deutscher Titel: Reporter des Satans)
Douglas verkörpert McMurphy ein halbes Jahr lang in der Theaterfassung, die relativ erfolgreich wird. Anschließend versucht er, den Stoff mit sich selbst in der Hauptrolle zu verfilmen. Doch die Studios weichen zurück. Zu düster, nihilistisch und kritisch kommt ihnen der Stoff daher. Der Geschichte haftet zudem der Nimbus an, dass sie sich über geistig Kranke lustig mache.
1972 hat Douglas jede Hoffnung auf eine Verfilmung verloren und überlässt die Filmrechte an dem Stoff seinem Sohn Michael, der gerade erst eine etwas prominentere Rolle in einer Fernsehserie ergattert hat und bemüht ist, sich seinem Vater zu beweisen. Kirk nimmt Michael das Versprechen ab, ihm, sollte er den Film realisieren können, die Hauptrolle zu geben.
Und sein Sohn hat dort Erfolg, wo Kirk scheitert. 

1975 hat Michael das Geld, einen weiteren Produzenten und einen Regisseur für den Film. Doch seine Partner wollen nicht mit Vater Kirk in der Hauptrolle arbeiten. Mit 59 Jahren ist er ihnen schlicht zu alt. Kirk erhält von seinem Sohn die Absage und muss mitansehen, wie ein junger Jack Nicholson ihm die Traumrolle wegschnappt. Und wie Charlton Heston erhält auch Jack Nicholson den Oscar für eine Rolle, die Kirk sich selbst so sehr gewünscht hätte.


EINER FLOG ÜBER DAS KUKUCKSNEST wird der zweite Film nach Frank Capras 1934 erschienenem ES GESCHAH IN EINER NACHT, der bei den Academy Awards die „Big Five“ abräumt, also je einen Oscars für die Beste Regie, den Besten Film, den Besten Hauptdarsteller, die Beste Hauptdarstellerin und das Beste (in diesem Fall adaptierte) Drehbuch erhält.
Kirk Douglas wird diese Niederlage nie überwinden und die Beziehung zu seinem Sohn, dem er die Verantwortung für die folgenschwere Entscheidung gibt,  erhält einen derart tiefen Riss, dass dieser bis zum heutigen Tag noch nicht gänzlich gekittet zu sein scheint.

Noch in seiner Laudatio für Michael, als dieser 2009 den Lifetime Achievement Award des American Film Institutes erhält, also 34 Jahre nachdem EINER FLOG ÜBER DAS KUCKUCKSNEST in Produktion ging,  findet Kirk kein anderes Thema als seinen Verlust der Rolle des McMurphy.

Doch sind Vater und Sohn sich zu dieser Zeit bereits wieder deutlich näher gekommen, und so beendet Kirk Douglas seine Rede auch mit sehr persönlichen Worten, die Michael sichtlich nahe gehen: Aber mal im Ernst, ich bin so stolz auf meinen Sohn, Michael. Ich sage ihm das nicht sehr oft. Eine kurze, öffentliche Szene, die doch viel über die Schwierigkeiten und Zerwürfnisse erzählt, die Vater und Sohn so lange begleiten. 

Der Vater: Förderer und Kritiker


Man kann über Kirk Douglas kaum reden, ohne die Geschichte seines Sohns wenigstens zu streifen.
Am 25. September 1944 wird Michael Douglas geboren, und immer unter dem Erfolgsdruck seines Vaters leiden, der nie zu Hause ist, und das Filmset seinen Kindern immer vorziehen wird.

Quelle: DVD „Es bleibt in der Familie“ © Touchstone (Walt Disney)
Damit wird Kirk für seinen Sohn, der ihn fast nur in seinen Heldenfiguren auf der Leinwand erlebt, beinahe zu einem Mythos – auch wenn es ihnen an weltlichen Gütern nicht mangelt.
Kirk Douglas erklärt: „Meine Kinder hatten nie den Vorteil, den ich hatte. Sie sind aufgewachsen, ohne bitterste Armut kennenzulernen.“

Michael zeigt als Teenager durchaus Ambitionen, in die Fußstapfen seines Vaters zu treten und versucht sich zunächst am Theater. Während Kirk seinen Sohn anfangs noch davon abrät, ihm beruflich zu folgen – manche meinen aus Sorge, andere meinen, aus Furcht vor Konkurrenz
, fördert er ihn schließlich. Während Kirk sich alles selbst erarbeiten musste, nutzt er immer wieder seinen Einfluss, um Michael zu unterstützen. Als der etwa aus dem Theaterstück „Summer Tree“ fliegt, kauft sein Vater kurzerhand die Rechte an Stück und Film und besetzt seinen Sohn in der Hauptrolle. Er protegiert seinen Sohn, und erklärt später, dass er damit versucht, die fehlende Zeit in dessen Kindheit wieder ausgleichen zu wollen.
Als Kirks Freund Karl Malden, mit dem ihn bis zu dessen Tod 2009 eine 70 Jahre währende Freundschaft(!) verbindet, 1972 das Angebot erhält, die Hauptrolle in DIE STRAßEN VON SAN FRANCISCO zu übernehmen, bittet er ihn, Michael in der Rolle des jungen, heißspornigen Partners zu casten. Malden kommt dem Wunsch nach und ebnet Michael Douglas damit den Weg zu seinem Starruhm.
Kirk Douglas ist überzeugt vom Talent seines Sohnes, doch an einen größeren Erfolg als er selbst ihn hatte, glaubt er nicht.
Er soll eines Besseren belehrt werden.

1975, in einem Alter, in dem Kirk gerade etwas größere Nebenrollen spielen durfte, heimst Michael als Produzent von EINER FLOG ÜBER DAS KUCKUCKSNEST seinen ersten Oscar für den Besten Film ein, 1987 erhält er den Preis ein zweites Mal als Bester Hauptdarsteller für seine Rolle des Gordon Gekko in WALL STREET. In den 90er Jahren steigt Michael mit einer Reihe kontroverser Filme zu einem der besten und populärsten Schauspieler seiner Generation auf. Eine Entwicklung, die Kirk so nicht vorhergesehen hat und seiner Meinung nach einzig auf dem Erfolg von EINER FLOG ÜBER DAS KUKUCKSNEST fußt – also auf dem eigenen künstlerischen Trauma.
Quelle: DVD „Die Wikinger“ © Twentieth Century Fox
Doch auch dieser Ruhm hat seinen Preis. Ähnlich wie bei Kirk, entwickelt sich auch bei Michael Douglas aus dem ursprünglichen Wunsch, sich die Anerkennung des Vaters zu verdienen, ein gnadenloser Antrieb, erfolgreich zu sein. Auch Michael wird seinen Sohn vernachlässigen, als Produzent gnadenlose Deals abschließen und damit eine Weltkarriere aufbauen.
 

Familiendramen und filmisches Erbe


Auch nach SPARTACUS feiert Kirk Douglas in den 60er Jahren weiterhin große Erfolge. Etwa STADT OHNE MITLEID mit der jungen Christine Kaufmann, dem Genre-Klassiker DIE TOTENLISTE, oder auch SIEBEN TAGE IM MAI und DIE GEWALTIGEN. In SIEBEN TAGE IM MAI ist ursprünglich die Rolle des General James Mattoon Scott für Douglas vorgesehen. Doch Douglas meint, diese facettenreiche und ausdrucksvolle Rolle passe eher zu Burt Lancaster und überlässt sie ihm. Er selbst übernimmt ersetzend die Rolle des Colonel Jiggs Casey.

1962 kommt es erneut zur Zusammenarbeit zwischen Dalton Trumbo und Kirk Douglas. In EINSAM SIND DIE TAPFEREN spielt Douglas den Cowboy John, der seinen Freund aus dem Gefängnis befreien will. Als dies misslingt, findet er sich selbst auf der Flucht vor dem Sheriff. Der Western unter der Regie von David Miller spielt im Jahr 1953.

Quelle: Blu Ray „Einsam sind die Tapferen“ © Koch Media GmbH
Erwähnenswert ist der Film vor allem, weil er Kirk Douglas' größte Enttäuschung darstellt. Douglas selbst bezeichnet EINSAM SIND DIE TAPFEREN wiederholt als seinen Lieblingsfilm, und tatsächlich liefert er darin eine der besten Leistungen seiner Karriere ab (was auch sein Sohn Michael und Steven Spielberg so sehen). Leider ist die Parabel auf den Abgesang des Wilden Westens beim Publikum nur mäßig erfolgreich, und wird bis heute von kaum jemandem gesehen, was der Star zutiefst bedauert. Augenzwinkernd fügt er an, dass der eigentliche Schwachpunkt sein Pferd „Whiskey“ gewesen sei, das ihm in jeder gemeinsamen Szene die Show gestohlen habe.

1969 spielt Douglas an der Seite von Faye Dunawaye in DAS ARRANGEMENT unter der Regie von Elia Kazan. Doch der Film floppt und Douglas' Spiel wird von der Kritik zerfetzt. Dunaway ergreift in ihrer Biographie Partei für ihren Partner:
Ich kann nicht verstehen, warum manche Leute Kirks Performance runtermachen, ich denke er ist großartig in dem Film, er glänzt, wie ich es bei kaum einem anderen Schauspieler gesehen habe.”

In den 70er Jahren nimmt Douglas vermehrt auch kleinere und Fernsehrollen an und sein übergroßer Stern beginnt nach fast 30 Jahren langsam zu sinken.
Zwei Mal führt Douglas eher glücklos selbst Regie: 1973 in dem Abenteuerfilm SCALAWAG und zwei Jahre später in MÄNNER DES GESETZES.

Eine seiner letzten großen Erfolgsrollen hat er 1980 an der Seite von Martin Sheen in DER LETZTE COUNTDOWN als Kommandant eines modernen Flugzeugträgers, der durch Zufall in der Zeit zurückreist, zum Vorabend des Angriffs auf Pearl Harbor – und damit massiven Einfluss auf das Kriegsgeschehen nehmen könnte.

1986 genießt Kirk Douglas, ein siebentes und letztes Mal an der Seite von Burt Lancaster, in ARCHIE UND HARRY – SIE KÖNNEN'S NICHT LASSEN seinen endgültig letzten großen Kinoerfolg.

1989
spielt er außerdem, gemeinsam mit seinem Sohn Eric, unter der Regie von Robert Zemeckis in einer Episode von GESCHICHTEN AUS DER GRUFT mit - und erhält eine Emmy
Nominierung (von insgesamt drei).
Quelle: DVD „Der letzte Countdown“ © MVL - Medienvertieb Lauenstein
Kurz darauf, im Jahr 1991, überlebt Douglas mit 74 Jahren einen Hubschrauberabsturz, bei dem zwei Menschen sterben. Vier Jahre später erleidet er einen schweren Schlaganfall, der ihn halbseitig lähmt und ihm die Fähigkeit zu sprechen nimmt.
Doch Kirk Douglas ist nicht irgendwer. Er ist ein ein Kämpfer, ein Beißer. Der Sohn eines Lumpensammlers aus der Eagle Street, der es an die Spitze Hollywoods geschafft hat. Und so geschieht, was bei der Schwere des Schlaganfalls keiner für möglich gehalten hat: Mit Ausdauer, Willen, und natürlich auch der bestmöglichen ärztlichen und therapeutischen Unterstützung erkämpft sich Douglas den Weg zurück in ein einegständiges Leben.

Heute kann er wieder selber laufen und – wenn auch mit deutlich hörbaren Störungen – auch wieder sprechen.

Seine letzte Rolle spielt er 2004, im Alter von 87 Jahren, in dem Film ILLUSION. Damit ist er einer der ältesten Hauptdarsteller aller Zeiten. Anschließend zieht er sich aus dem aktiven Filmgeschäft zurück, hat aber 2008 noch einen allerletzten Auftritt in dem semi-dokumentarischen Streifen MORD IM EMPIRE STATE BUILDING.

Seinen letzten, aus ganz anderen Gründen sehenswerten Film dreht er allerdings bereits 2003. Dort kommt es mit ES BLEIBT IN DER FAMILIE zu einem wahren Familienprojekt, das drei Generationen des zerspaltenen Douglas-Clans einen soll. Neben Kirk Douglas spielen sein Sohn Michael, sowie dessen Sohn Cameron Douglas und Kirks erste Frau Diana Douglas mit.
Der Film ist nicht gut, aber eine faszinierende Aufarbeitung der oft so tragischen Familiengeschichte, die auf der Leinwand ein Happy End findet. Und auch in der Realität scheint die Zusammenarbeit ihre Wirkung zu haben, denn tatsächlich sind Kirk, Michael und Enkel Cameron einander im Anschluss näher als je zuvor.

Künstlerisch hilft das freilich wenig: ES BLEIBT IN DER FAMILIE kann mit keiner Faser überzeugen und fällt bei Kritikern und Publikum durch.
Quelle: DVD „Es bleibt in der Familie“ © Touchstone (Walt Disney)
2009, mit 92 Jahren, steht Kirk Douglas noch einmal auf einer großen Theaterbühne. In „Before I forget“ resümiert er über sein Leben und seine Karriere. Die vier Vorstellungen werden mitgefilmt und ein Jahr später im Rahmen einer Dokumentation verwendet.

Private Katastrophen bleiben Kirk Douglas jedoch auch nach seiner Karriere nicht erspart.
2010 wird s
ein Enkel Cameron wegen Drogenbesitzes zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Erst Mitte 2016 kommt er wieder frei.
Ein Jahr nach ES BLEIBT IN DER FAMILIE nimmt sich sein dritter Sohn Eric, aus seiner zweiten, übrigens noch heute andauernden Ehe mit Anne Buydens, mit einer Überdosis Drogen das Leben.
2010 erkrankt Michael an Zungenkrebs. Lange ist ungewiss, ob die Behandlungen anschlagen und welche weiteren gesundheitlichen Konsequenzen aus der Erkankung entstehen.
2011 zeigt seine Schwiegertochter Catherine Zeta-Jones Anzeichen einer schweren Depression und muss eingewiesen werden.


Heute schaut Kirk Douglas zurück auf eine fast sechzigjährige Filmkarriere. Er steht wie kaum ein anderer für das „Golden Age“ Hollywoods. Eine Karriere, die immer auch den großen Strömungen ihrer Zeit folgt: Von den Noir-Thrillern der 40er Jahre, über die Western der 50er, die großen, epischen Heldengeschichten der 60er und die nostalgischen Spätwestern der 70er Jahre bis hin zu den frühen Science-Fiction-Geschichten der 80er und den nostalgischen Familiendramen der 90er Jahre.
Quelle: DVD 20.000 Meilen unter dem Meer © Walt Disney
Kirk Douglas stand immer für das große Kino, die fiebernde Leinwand, das vor Spektakel staunende Publikum. Für strahlende Helden und überlebensgroße Gefühle. Die kleinen, realistischen Geschichten des Lebens waren nie sein Metier, oder nur in Ausnahmefällen und im hohen Alter. So verpasste er, vielleicht auch, weil er in seinem Erfolg festgefahren war, den Absprung aus der „Goldenen Ära“, deren Schicksal besiegelt war, und den Wechsel ins lebensnahe New Hollywood.

Diesen Stab gab er durch seinen Sohn Michael an die nachkommende Generation weiter, so dass der Name „Douglas“ bis heute ehrfurchtsvoll durch die Kinosäle raunt.
Auszeichnungen erhielt es für diese einzigartige Karriere nur wenige. Erst ab Anfang der 90er Jahre „sammelt“ Douglas fleißig Preise für sein Lebenswerk. So erhält er 1996 endlich den so sehnlich erhofften Oscar, als Ehrenpreis für sein Lebenswerk, eine Auszeichnung, die er für keine seiner Leistungen als Schauspieler je erringen konnte.


Das Geschenk


Doch zum Staunen bringt Kirk Douglas die Welt noch immer. Denn staunen tut die Welt, als Douglas 2014, er ist 98, erklärt, er wolle sein gesamtes Vermögen an wohltätige Institutionen spenden.
Schon seit 1955 unterhält das Ehepaar Douglas einen Fond, in den jahrelang sämtliche  Einnahmen eingezahlt werden. Inzwischen beläuft sich das dort gesammelte Vermögen auf fast 80 Millionen Dollar. Da seine Kinder finanziell durchweg abgesichert sind und er selbst mit seiner Frau das Geld nicht mehr ausgeben kann, gibt er den Großteil davon an Bedürftige weiter.
„Du musst dich um andere kümmern.“
Das ist der Satz, den seine Mutter ihm 80 Jahre zuvor gelehrt und vorgelebt hat.

Von dem Geld sollen Spielplätze gebaut werden, eine Heim für Obdachlose, Stipendien für Minderheiten und unterprivilegierte Studenten eingerichtet werden. Den größten Teil allerdings soll der Motion Picture and Television Fund erhalten, der sich um die Versorgung und gesundheitliche Pflege von Schauspielern kümmert, speziell um solche, die an Alzheimer erkranken.

Und noch etwas lässt staunen. Denn Kirk Douglas ist seit 2012 Blogger! Er bloggt relativ regelmäßig. Veröffentlicht er zunächst bei Myspace, hat er mittlerweile bei der Huffington Post eine Plattform für seine Gastbeiträge gefunden, in denen er über sich und seine Ansichten erzählt. (So, wie in seinen etwa zehn autobiographischen Büchern, die seit 1988 erschienen sind.)
Damit ist Douglas mit 100 Jahren sicherlich einer der ältesten Internetautoren der Welt! 


„Ich bin zu alt, um mich zu ändern. Wie Popeye: 'I yam what I yam'. Liebt mich oder hasst mich, nur egal will ich euch nicht sein.“
Quelle: Blu Ray Greedy © Universal Pictures Germany GmbH

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