23.11.17

Porträt: Boris Karloff – Festgeschnürt im Korsett des Grauens

„Als ich neun Jahre alt war, spielte ich am Theater den dämonischen König in „Cinderella“. Dies war der Startschuss für ein langes und glückliches Leben als „Monster“.
Quelle: Blu Ray „Die Mumie“ © Universal Pictures Germany GmbH

Eine Version dieses Porträts findet sich auch in Ausgabe 20 von „35 Millimeter“, dem Retro-Filmmagazin.

Biancas Blick:

Boris Karloff ist seit den 1910er Jahren als Schauspieler tätig und spielt bis zu seinem Tod 1969 in mehr als 200 Filmen mit. Obwohl er seinen Kino-Einstand in gesellschaftskritischen Filmen gibt, sind es doch die Universal-Monster-Rollen, die seinen Ruhm bis heute festigen. Der Durchbruch als Frankensteins Kreatur ebnet ihm 1932 nicht nur den Weg und begründet seinen Erfolg, sondern schmiedet auch die ersten Stäbe eines Käfigs, aus dem sich Karloff als Schauspieler nicht mehr befreien kann.

Mit Augenzwinkern sagt er am Ende seines Lebens dazu: „Meine Frau zeigte einen außergewöhnlich guten Geschmack: Sie sah nur sehr wenige meiner Filme.“

Von adliger Herkunft


Geboren wird Karloff 1887 in London als William Henry Pratt, jüngstes von neun Kindern. Bereits früh verwaist, wächst Pratt bei seinen älteren Geschwistern auf. Seine Familie steht seit Generationen in den Diensten der englischen Krone und weist einige Berühmtheiten auf. So ist seine Mutter eine Nichte der Frauenrechtlerin und Autorin Anna Leonowens (berühmt durch ihre Tagebücher, die die Grundlage des Romans „Anna und der König“ bildeten), und einer seiner Großneffen ist der italienische Comic-Autor Hugo Pratt, Erfinder von „Corto Maltese“.

Quelle: DVD „The Walking Dead“ © Warner Bros. (Bisher keine deutsche DVD-Auswertung)
Zunächst folgt Pratt den familiären Traditionen und besucht höhere Schulen, um auf den Verwaltungsdienst in den Britischen Kolonien vorbereitet zu werden. Doch bereits während seiner Schulzeit entdeckt er das Theaterspielen für sich und baut diese Leidenschaft mithilfe von privaten Schauspielstunden weiter aus. Darüber hinaus absolviert er zahlreiche Auftritte an seiner Universität. Er beginnt, das Studium zu vernachlässigen und konzentriert sich vermehrt auf die Schauspielerei. Mit gerade mal 21 Jahren verlässt er England und siedelt nach Kanada über. Unterwegs verdient er sein Geld als Truckfahrer, Hilfsarbeiter, im Schienen- und Straßenbau. Er arbeitet auf diversen Wanderbühnen und versucht in verschiedenen Schauspieltruppen in Kanada und der US-amerikanischen Provinz Fuß zu fassen. 


„Karloff“ wird geboren


In den 1910er Jahren, der genaue Zeitpunkt ist unklar, kommt Pratt nach Hollywood und beginnt als Statist und Kleindarsteller beim aufkommenden Stummfilm zu arbeiten. Seinen ersten nachweisbaren Auftritt hat er im 1916 entstandenen Film THE DUMB GIRL OF PORTICI an der Seite der Primaballerina Anna Pawlowna Pawlowa. Zeitgleich ändert William Henry Pratt seinen Namen in Boris Karloff. Legenden zufolge hat sein Freund und Kollege Lon Chaney Sr. ihm dazu geraten, da der Name das kantige Aussehen Pratts unterstreichen würde, was ihm die Rollenauswahl als Exot, Außenseiter und Schurke erleichtern soll. Noch heute streiten sich Filmwissenschaftler, woher der Name „Karloff“ stammt. Ob es eine Hommage an seine Mutter ist, die slawisch-russische Zweige in ihrem Stammbaum aufweist, oder die Wahl auf einen Ortsnamen slawischen Ursprungs zurückgeht, ist bis heute ungeklärt.

Quelle: Blu Ray „Frankenstein“ © Universal Pictures Germany GmbH
Seine ersten Auftritte sind dann auch tatsächlich Exoten: Piraten, Indianer, Schwarzafrikaner, Asiaten oder Araber. Und diese Nische bedient Karloff perfekt. Innerhalb des „Type Castings“ Hollywoods deckt Karloff alle Genres ab: Von Kriminalfilmen über Abenteuerfilme bis hin zu Komödien bedient er jedes Rollenfach. Sein Hausstudio werden die Universal-Studios, die ihn auf diese Rollen festlegen wollen.

Vom Versuch, sich zu emanzipieren


Aufgrund seiner geschulten Stimme gelingt Karloff der Sprung zum Tonfilm mühelos. Obwohl er von Natur aus lispelt, unterstreicht diese Angewohnheit den Reiz des „Außergewöhnlichen“. Seinen ersten Tonfilm dreht er 1929 unter der Regie von Lionel Barrymore: THE UNHOLY NIGHT.
In den 30er Jahren bemüht sich Karloff, seine stereotypen Rollen zu durchbrechen und sucht vermehrt Parts in gesellschaftskritischen Werken. Da er kein A-Schauspieler ist, erfüllt ihm sein Studio diesen Wunsch nicht, verleiht ihn aber an andere Studios.

Quelle: DVD „Die, Monster, Die! - Das Grauen auf Schloss Witley“ © Twentieth Century Fox
Seine erste anspruchsvolle Nebenrolle in einem Prestigefilm übernimmt Karloff 1931 in DAS STRAFGESETZBUCH unter der Regie von Howard Hawks. Neben Walter Huston mimt er einen Gefängnisinsassen, der sich an einem Mitgefangenem schuldig macht. Die Kraft des Gesetzes und der Gefängnisalltag werden in der Milieustudie ebenso thematisiert wie die auf der anderen Seite wirkende Verbrecherehre. Filme, die der Realität verpflichtet sind, werden Karloffs schauspielerisches Steckenpferd. In SPÄTAUSGABE spielt er ebenfalls 1931 neben Edward G. Robinson in einem Reporterfilm, der die Themen Verantwortung und Freiheit der Presse ins Zentrum der Handlung stellt. Schließlich spielt Karloff in THE GUILTY GENERATION einen Vater, der zwischen dem Recht, seinem Kind und den Verpflichtungen gegenüber einem Gangsterboss hin- und hergerissen ist.

Laemmle und die Kreatur


Als Carl Laemmle, Jr. die Universal Studios übernimmt, wird er sofort auf Boris Karloffs Talent aufmerksam und bietet ihm 1932 die Rolle der Kreatur in FRANKENSTEIN an. Bela Lugosi, der ein Jahr zuvor mit DRACULA seinen Durchbruch feierte, lehnt die Rolle des sprachlosen Monsters ab, da er glaubt, als Schauspieler unterfordert(!) zu sein. Was für ein Irrtum! Karloff erkennt das Potenzial der dramatischen Rolle und sagt bedenkenlos zu. Zu diesem Zeitpunkt hat er bereits in über siebzig Filmen mitgewirkt, und doch ist es FRANKENSTEIN, der ihn über Nacht weltberühmt macht. Er agiert mit solch körperlicher Kraft und gleichzeitig unfassbarer Verletzlichkeit, dass sein Spiel zu einem frühen Meilenstein der Schauspielkunst im Allgemeinen zählt. Im Vorspann wird Boris Karloff nicht mal genannt; als Name des Schauspielers hinter  „dem Monster“ muss lediglich ein „?“ herhalten, was die Neugier der Zuschauer natürlich zusätzlich anheizt. Im Abspann aber wird er selbstverständlich namentlich genannt. Karloff wird später sagen: „Die Kreatur war mein bester Freund.“

Quelle: Blu Ray „Frankensteins Braut“ © Universal Pictures Germany GmbH
Sara Karloff, seine Tochter, erinnert sich: „Als er den Film machte, war er nur ein Kleindarsteller, und er wurde nicht einmal zur Premiere eingeladen. Niemand erwartete, dass der Film einen solch enormen Erfolg haben würde, und mit Sicherheit hat niemand erwartet, dass die Kreatur der Star des Films werden würde. Jeder dachte, Colin Clive wäre der Star des Films. Mein Vater war seit zwanzig Jahren im Geschäft; er war 44 Jahre alt, und FRANKENSTEIN war sein 81. Film, er war also eindeutig kein Newcomer. Die Anerkennung, die er für den Film erhielt, war für alle seltsam, ganz besonders für ihn.“

Und ewig lockt das Monster


DAS NARBENGESICHT, erneut von Howard Hawks, wird kurz darauf sein bekanntester Film, den er aufgrund früherer Verträge ableisten muss. Neben den noch abzuleistenden Pflichten als Nebendarsteller in zum Teil unbedeutenden Filmen wird er bei den Universal Studios vermehrt als Unheimlicher und Mysteriöser eingesetzt. Noch immer ist es 1932, als er die zweite große Rolle erhält, die ihm schauspielerisch einiges abverlangt: In Karl Freunds DIE MUMIE spielt er Im-Ho-Tep, einen altägyptischen Hohepriester, der mit einem Fluch belegt, und als Mumie wiedererweckt wird. Aufgrund der Maske der 3000 Jahre alten Mumie ist Karloff verstärkt auf Gestik und Mimik angewiesen, da das Sprechen fast unmöglich ist.

Quelle: Blu Ray „Die Mumie“ © Universal Pictures Germany GmbH
Auch diese Hürde meistert er bravourös, und obwohl DIE MUMIE bei seinem Erscheinen eher zurückhaltend aufgenommen wird, zählt die Horrormär heute als Klassiker seines Genres. Auch in den beiden folgenden Filmen, DAS HAUS DES GRAUENS und DIE MASKE DES FU-MANCHU, spielt er keine Sympathisanten, sondern einen Pyromanen und einen asiatischen Schurken, der die Weltherrschaft an sich reißen will.
So sehr Boris Karloff noch vor ein paar Jahren um seine künstlerische Freiheit gekämpft hat, zieht sich die stereotype Rollenschlinge nun doch enger und enger. Nicht nur bei den Universal Studios, sondern auch bei anderen Studios übernimmt er die „Monster-“ und „Schurkenrollen“: undurchsichtig, gefährlich und mysteriös. So wird er selbst in seinem Heimatland Großbritannien als altägyptischer Untoter in THE GHOUL besetzt.


1935 kehrt er als „Kreatur“ in FRANKENSTEINS BRAUT auf die Erfolgsschiene zurück. Die Fortsetzung des Klassikers gilt bis heute als bester FRANKENSTEIN-Film aller Zeiten. Die Pluspunkte des Streifens sind die humoristischen Einlagen (wenn die Kreatur zum Beispiel erfolgreich versucht, eine Zigarette zu rauchen) und die erweiterte Emotionalität, die der Figur geschenkt wird. Karloff hat ein wenig Text und durch die veränderte Maske ist Karloffs Gesicht deutlich durchscheinender.
Vier Jahre später schließt die Trilogie mit FRANKENSTEINS SOHN ab. Diesmal agiert Karloff an der Seite von Bela Lugosi, dem anderen großen Horror-Star der Universal Studios, mit dem er in vielen weiteren Filmen auftreten wird. Der Film erleidet jedoch beim Publikum und den Kritikern Schiffbruch. Über die ebenso stereotype Rollenbesetzung seines Kollegen und Freundes Bela Lugosi sagt Karloff später: „Armer alter Bela, es war eine seltsame Sache. Er war wirklich ein schüchterner, sensibler, talentierter Mann, der eine gute Karriere auf der klassischen Bühne in Europa hatte, aber er machte einen tödlichen Fehler. Er hat sich nie die Mühe gemacht, unsere Sprache zu lernen. Er hatte echte Probleme mit unserer Sprache und Schwierigkeiten, Zeilen zu interpretieren.“ Weitere Filme der beiden sind u.a. DER RABE und TÖDLICHE STRAHLEN.

Quelle: DVD „The Raven“ © Universal Pictures (Aktuell keine deutsche DVD-Auswertung)
Nachdem Karloff 1939 in DER HENKER VON LONDON dann selbst den Tod gespielt hat, baut er sich mittels seiner charismatischen Stimme ein zweites Standbein auf und geht zum Radio. Er spricht Werbung ein, hält einstündige Lesungen ab, nimmt an Talk- und Quizshows teil (u.a. „Information, Please!“ an der Seite von Ruth Gordon oder in Sketchen neben Groucho Marx), und etabliert sich so in den 40er Jahren als Sprechtalent. Und ja, ab und an auch als Sänger, u.a. neben Bing Crosby. 1946 synchronisiert er für den amerikanischen Markt den tschechoslowakischen Puppenfilm THE EMPERORS NIGHTINGALE von Jiri Trnka. Die Schallplatte ist überaus erfolgreich und ebnet Karloffs Karriere als Synchronsprecher den Weg. Er spricht darüber hinaus über zwanzig Hörspiele für Kinder ein und liest aus dem Readers Digest.

Karloff ist auch Gründungsmitglied der Actor's Guild, der amerikanischen Schauspielergewerkschaft. Sara Karloff resümiert: „Er war sehr leidenschaftlich, was seine Berufung anging; so war er eines der Gründungsmitglieder der Screen Actor's Guild. Seine Mitgliedskarte war die #9, und er blieb bis in die späten 40er im Gremium, nachdem die Gewerkschaft schon 1933 gegründet worden war. Es war ihm wichtig, dem Beruf des Schauspielers etwas zurückzugeben, und sich für die Rechte aufstrebender Schauspieler einzusetzen, weil er selbst einen langen Weg zurückgelegt hatte, in einer Zeit, in der Schauspieler wie ein Stück Fleisch behandelt worden sind.“

Rückkehr zu alten Pfaden


Dennoch kehrt er in den 40er und 50er Jahren als Gruselfigur auf die Leinwand zurück. Ob als Mörder in DER LEICHENDIEB, als zwielichtiger Richter im deutlich satirisch gefärbten THE BOOGIE MAN WILL GET YOU oder als wahnsinniger Professor in FRANKENSTEINS HAUS – die Rollen sind und bleiben „außergewöhnlich“ und „monströs“ gefärbt. Seine Arbeiten sind zumeist Schwarzweiß-Filme, was der intendierten morbiden Stimmung der Werke entgegenkommt.

Seine Ausflüge zu ABBOTT & COSTELLO ab Ende der 40er Jahre (u.a. ABBOTT & COSTELLO MEET THE KILLER, BORIS KARLOFF) gehören laut Kritikern zu den schlechtesten Auftritten Karloffs und markieren den Tiefpunkt seiner Karriere.
Boris Karloff spielt seit 1941 vereinzelt Theater am Broadway. Das Stück „Arsen und Spitzenhäubchen“ läuft ganze drei Jahre und feiert mit 1.400 Vorstellungen große Erfolge. Seine Folgestücke, „The Linden Tree“ und „The Shop at Sly Corner“ werden hingegen nach nur wenigen Vorstellungen abgesetzt. Anfang der 50er Jahre spielt Karloff in „Peter Pan“ am Broadway und wird frenetisch bejubelt. 1955 erhält er für seine Rolle in „Die  Lerche“ neben der bezaubernden Julie Harris eine Tony-Award-Nominierung.

Karloffs Glanzzeiten als Schauspieler sind jedoch längst vorbei. Bis zu seinem Tod nimmt er sowohl in England als auch in Amerika immer wieder Rollen in Grusel- und Horrorfilmen an, die in ihrer Qualität höchstens Mittelmaß erreichen.
Quelle: DVD „Black Sabbath“ © Warner Bros (Aktuell keine deutsche DVD-Auswertung)
Mit FRANKENSTEIN hat er den Grundstein einer Karriere gelegt, die in ihrer Form fast einzigartig ist. Von da an ist sein Rollenspektrum begrenzt. Obwohl er mittels Theater und Radio stets erfolgreich und hoch gelobt versucht, andere Facetten seines Könnens zu zeigen, fordert das Publikum doch unbeirrt „Das Monster“ ein, was Karloff in Form der Kreatur oder ähnlich abartig und monströs angelegter Leinwandfiguren zu erfüllen versucht. FRANKENSTEINs Kreatur wird zu einer Marke, zu einem bedeutenden Bestandteil der modernen Popkultur und findet sich in Kino, Hörspielen, Fernsehen, Sketchen und Spielfiguren mannigfaltig.
Seine Tochter, Sara Karloff, pflegt bis heute eine Webseite für die künstlerische Hinterlassenschaft ihres Vaters und hält somit die Erinnerung an ihn wach. 

Boris Karloff blickt am Ende seines Lebens auf seine Karriere zurück und schätzt diese recht pragmatisch ein: „Man hört immer von Schauspielern, die alles daransetzen, einem bestimmten Typ zu entsprechen – wenn ein Schauspieler zum Beispiel jung ist, wird er als Jugendlicher etabliert. Wenn er hübsch ist, wird er als Frauenschwarm aufgebaut. Ich aber hatte Glück. Denn während Agenten und Caster Millionen investieren müssen, um die  Marke eines Schauspielers zu etablieren, wurde mir eine Marke kostenlos zur Verfügung gestellt. Wenn ein Schauspieler in der Lage ist, seine eigenen Rollen vollkommen frei auszuwählen, ist er in großen Schwierigkeiten, denn er weiß nie, was er am besten kann. Ich bin mir sicher, dass ich verdammt gut als 'Der kleine Lord' gewesen wäre, aber wer hätte auch nur zehn Cent bezahlt, um das zu sehen?“

Quelle: Blu Ray „The Sorcerers“ © Odeon Entertainment (Aktuell keine deutsche DVD-Auswertung)

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